Damit die Liebe leben kann

Goldener Stern aus Stroh, dekoriert mit zwei leuchtenden Kerzen im Hintergrund, die eine warme Atmosphäre schaffen.

Damit die Liebe leben kann, bin ich anders. Ich bin nicht wie mein Vater. Gewalttätig, Alkoholiker, Macho, unbeherrscht und triebgesteuert. Das sind nur ein paar Eigenschaften, die mir zu ihm einfallen. Ein „Mann“, so wie er mich wollte, wollte ich schon als Junge nie sein.

Mein Vater war der, der er war, weil die Zeit eine andere war und er im Krieg Erfahrungen gemacht hatte, die für keinen Menschen nur annähernd gut sein können. Es kann doch nie spurlos an einem Menschen vorbeigehen, wenn er andere Menschen töten muss. Und will. Wenn er selbst schwer verwundet wird. Wenn Haus und Hof in der Heimat verloren gehen. Das sind nur ein paar Dinge von dem, was Menschen wie mein Vater erleben und aushalten mussten.

Jeder, der die Hölle, wie die der Weltkriege, erlebt hat, der kann kaum seelisch unbeschadet bleiben. Das entschuldigt keine Taten, in keiner Weise. Aber es versucht zu verstehen. Verstehen, damit die Liebe leben kann. Solche Traumata haben Auswirkungen auf das Leben danach, die Beziehungen, die ein Mensch führen kann. Insbesondere betrifft das nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner nächsten, seiner Frauen, seiner Kinder. Die Nachkriegskinder leiden unter der Situation teilweise extrem.

Egal wie schlimm die Zeiten und ihre Auswirkungen waren. Man kann wünschen, dass sich die betroffenen Menschen damit auseinandersetzen. Aus heutiger Sicht, damals war dies kaum möglich.

Denn jede Auseinandersetzung bedeutet auch ein „In Frage stellen“. Besonders des eigenen Denkens und Lebens. Wenn hinzu kommt, dass Psychologen als Irrenärzte abgewertet werden, in einem gesellschaftlich anerkannten Konsens, so ist diese Auseinandersetzung für die direkt Betroffenen nicht selten schwer möglich. 

Zudem war und ist gerade Alkohol gesellschaftlich anerkannt – und entsprechend ein einbringendes Geschäft. Ein Glas hat doch noch niemanden geschadet. Kaum eine lustige Feier scheint ohne Spirituosen möglich.

Da ist es viel einfacher – und das Gehirn ist entsprechend trainiert – den eigenen Stiefel weiter zu tragen und die Wunden auch im Suff vergessen zu wollen. Oder gleichermaßen für die Nachkommen, zu übernehmen, was die „Alten“ einem vorleben.

Das ist das Problem jeglicher psychischer Wunden: Verdrängung, die Auseinandersetzung damit und die Fragen, denen man dabei ins Auge blicken muss. Um dazu im Tal der unerträglichen Schmerzen vielleicht neu lernen zu können, damit umzugehen. Den Schmerz zu ertragen ist eins, die Ängste zu sehen und ein Stück weit zu überwinden, das ist hart. Vielleicht fühlt man nie, dass die Krallen der Ängste gar nicht immer scharf sind, eher wie Pfoten einer Katze, die einem sanft berühren und erinnern.

Denn es geht nicht darum zu vergessen. Nichts soll verschwunden sein, was schmerzt. Alles ist ein Teil von einem. Die Gewalt des Vaters genauso wie der Gestank seiner ungezählten Zigaretten. Es geht darum, einen Weg, meinen persönlichen Weg zu entdecken damit umzugehen. Als ein Teil meines Lebens.

Es macht mich aus. Nicht weil das Verhalten des Vaters in mir weiterlebt, sondern weil ich sie dermaßen abschreckend finde und unter vielen anderen deswegen versuche, anders zu leben.

Aber das funktioniert eben auch nur, wenn ich mich – heute mit meinen Texten – mit all dem auseinandersetze. Das war und ist zwar ein Stück weit einfacher für mich als für meinen Vater als Negativbeispiel. Aber es ist Voraussetzung. Auch hier aber gibt es kein eindeutiges richtig oder falsch, jeder ist individuell und so darf jeder seinen eigenen Weg versuchen, sich selbst besser kennenzulernen.

Lange Jahre war ich damit alleine. In meinen jungen Jahren. Und bestimmt habe ich darunter auch gelitten. Aber es war auch ein Vorteil: ehrlich gesagt Zeit zu haben. Psychologische Ratgeber zu lesen. Geschichten, alte und moderne Märchen zu sammeln. Eine eigene Haltung zu esoterischen Weisheiten zu finden. Mich mit Bildern, mit Tarotkarten, mit Astrologie versuchen zu sehen, nicht weil eine Sternenkonstellation oder bestimmte Karten irgendetwas vorhersehen könnten, sondern weil die Beschäftigung mit den Aussagen die eigene Persönlichkeit von unterschiedlichen Seiten beleuchtet. 

Später habe ich meine erste Frau kennengelernt. Vieles gab es, was uns verbunden hat. Lange Jahre waren wir zusammen. Aber irgendwann, nein, eigentlich schon von Anfang an, wie auch immer, habe ich mich von ihr mehr und mehr unverstanden gefühlt. Ihr Blick, ihre Geschichte war anders.

Es ist schwierig, zu verstehen, was unbekannt ist, aber verzaubert. Es sind eher die Gegensätze, die einen manchmal anziehen, das andere. Oder Glauben und Hoffnung. Und auch das sich ergänzen.

Es war richtig für mich, diese Zeit, aber sich zunehmend nicht verstanden zu fühlen, macht die Kluft breiter. Wir haben uns auseinanderentwickelt, auch deswegen, weil die Zeit fehlte, genau hinschauen zu können oder zu wollen. Mich hat das zunehmend unzufrieden gemacht. Gespräche, das sich zeigen wollen, wurden nicht verstanden. Meine Werte konnten nicht leben.

Aber das ist alleine meine Sichtweise. Sie wird es bestimmt anders empfinden.

Nicht selten bleiben Paare dennoch zusammen. Sie haben sich aneinander gewöhnt. Sie geben auf. Oder – wie beispielsweise bei meinem Vater – fehlt die Kraft, sich der Realität zu stellen, weil das Denken, das Fühlen und Leben irgendwo verkümmert ist, im Schutt und Angst der Vergangenheit.

Für mich aber war das irgendwann keine Option. Keine materielle Sicherheit war es wert, noch länger nicht mehr mein eigenes Leben zu leben. Auch keine vergangene gemeinsame Zeit, keine auch sehr einmaligen und schönen Erlebnisse. Aber auch diese Erfahrung ist wesentlich für mich: es zu versuchen, vieles auch genau deswegen verstehen zu können und dennoch nicht zu verharren. Keine Minute zu missen, als verlorene Zeit abzuwerten, sondern zu sehen, dass auch das zu meinem Leben gehört. Mein eigenes Leben.

Damit die Liebe leben kann, war und bin ich immer auf der Suche. Denke und handel anders als mein Vater. Habe ich meine Ex-Frau verlassen. Nur weil all das so ist, wie es war, konnte ich meiner Liebsten meines Leben begegnen. Konnte und kann diese Liebe sein, die mir seit Jahrzehnten meines Lebens zuversichtlich das Gefühl, ja die Sicherheit schenkt, nicht alleine zu sein, mit mir selbst. Allein gelassen und ungesehen.

Das ist das Geschenk, das Glück meines Lebens. Das „Zärtlichkeit“ leben kann, die den anderen wahrnimmt. Das „Gemeinsam“ leben kann, gemeinsame Zeit miteinander, gemeinsam Dinge erledigen, die es dem anderen einfach nur etwas leichter machen. Denn schwer ist das Leben sowieso. Und bei all dem dennoch nie aus dem Blick zu verlieren, dass gemeinsam nicht gleichbedeutend ist damit, dass der andere seine Persönlichkeit aufgibt und jeder den Raum für seine Lieblingsdinge behält. Zeit und Raum für sich haben wird zu oft vergessen, in der bunten Zweisamkeit.

Das ist mir wichtig. Welche Werte habe ich? Wie lebe ich? Jeder hat es in der Hand, es nicht genauso weiter zu machen, wie es vorgelebt wurde oder wie die Gesellschaft es meint, dass es richtig ist. Nur weil es schon immer so war, heißt nichts. Nur weil es viele so machen, heißt noch weniger. Wir sind individuell, alle verschieden und alle einmalig. Mein Vater genauso. Auch sein Leben hat mir die Augen, die Seele geöffnet, vielleicht etwas besser zu verstehen, insbesondere Menschen, die auch eine verletzte Seele aus ihrer Vergangenheit her haben. 

Alle diese Menschen, die mit ihrem Leben gestrandet sind, die glauben, keine Zukunft mehr zu haben, die des Lebens müde sind. Die Gefallenen und die, die im Krieg nicht getötet wurden. Wir brauchen alle, denn gleichfalls ihre Erfahrungen beleuchten das Leben. Wir brauchen die Engstirnigen, die braun sehenden und wählenden, und wenn nur, um zu erkennen, was wir nicht wollen. So traurig es ist, wir brauchen auch den Schmerz, die Krankheit, den Verlust, die Trauer, um das Glück zu erkennen und um zu verstehen.

Und am Ende unseres Lebens brauchen wir den Tod, der mit offenen Armen auf uns wartet, um den Raum zu geben für neues Leben. Das es bestimmt besser macht, als ich es je konnte. Damit die Liebe leben kann.

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