An der Grenze zu einer anderen Zeit

Alte Autobahn A115 zwischen Dreilinden Drewitz und Dreilinden

In einer Zeit, in der es ein geteiltes Deutschland gab. Am Grenzübergang Dreilinden in Berlin begann die kürzeste Transitautobahn Richtung Marienborn / Helmstedt. Erst kam man zum westdeutschen Zoll, hier wurde man durch gewunken. Dann die ostdeutsche Grenze. Bloß nicht zu schnell fahren. Schranken, Betonböller, Wachtürme prägten das Bild. Ein Beamter winkte die Fahrzeuge in eine nummerierte Schlange. Nun begann das große Warten, manchmal stand man eine Ewigkeit. Es ging nur langsam voran. Manche, meist jüngere Menschen schoben ihr Auto, weil das an und aus nur die Luft verpestete. Endlich erreichte man das erste Häuschen. Hier wurden die Ausweise eingesammelt. Nur keine weiße durchgezogene Linie überfahren, das würde teuer werden. 

Langsam ging es weiter zum 2. Häuschen. Die Papiere wurden per Rohrpost dorthin geschickt. Beamten schauten sich die Autos genau an. Oft mit Spezialspiegeln. Zwischendurch wurden die Papiere abgeglichen, zum Schluss ein Gesichtsvergleich mit den Ausweisfotos.

Endlich durfte man weiter fahren. Aber bloß nicht schneller als 100 km/h. Die Volkspolizisten standen gerne hinter Autobahnbrücken. Und immer auf der erlaubten Transitstrecke bleiben. Auch kein trödeln. Alles wurde überwacht. Beim Ausreisen folgte dann das gleiche Spiel. Aber meistens ging es schneller. Man atmete tief durch, wenn man durch war. Auch die Grenzbeamten machten nur ihren Job. Wie überall gab es freundliche Menschen und unfreundliche. 

Mein Vater fuhr auch oft die Landstraße B5. Das war lange Zeit die einzige Transitstrecke von Berlin Richtung Norden. Auch heute noch fahre ich gerne die B5, auch wenn sich manches verändert hat und es einige Umgehungsstraßen gibt. Man sich nicht mehr durch Nauen und Perleberg oder Kyritz schlängeln muss. 

Denn damals waren es farblose, graue Orte. Rappelndes Kopfsteinpflaster. Kohlenduft lag in der Luft. Wenige Menschen waren unterwegs, wenn wir in der früh durch die Ortschaften fuhren. In Karstädt wartete man öfter am riesigen Bahnübergang. Man durfte nicht von der Strecke abweichen und nur an ausgewiesenen Stellen halten. 

Im Intershop in Quitzow trafen wir Tante Gerda. Das war natürlich streng verboten. Mein Vater war es dennoch wichtig, diese persönlichen Westostkontakte, wenigstens einmal im Jahr auf der Urlaubsfahrt. Bis heute erkennt man unseren Treffpunkt, auch wenn es seit einigen Jahren kein Restaurant mehr ist. Früher musste man zu den einfachen Toiletten über den Hof. Das war für mich irgendwie gruselig. 

Mein Vater fuhr gerne sehr früh am Tag, also in der Nacht, los. Um dann nachmittags am Ziel, am Meer anzukommen. Mit seinem restaurierten, postgelb von eigener Hand lackiertem Borgward Isabella ging es los. So eine Urlaubsreise war immer etwas sehr Besonderes. 

Nichts schreckte meinen Vater. Kein starkes Gewitter auf der B5. Kein lauter Donner und keine unzähligen Blitze. Auch kein Starkregen im dunkeln, dem die quietschenden Scheibenwischer kaum Herr wurden. Aber auch er war angespannt. Schnell gereizt. Dann haute er mir schon mal seine Armprothese ins Gesicht, weil ich als Junge nicht gemerkt hatte, dass meine kleine Schwester die Finger im Fenster hatte, als ich die Kurbel drehte. Heute verstehe ich natürlich, dass seine plötzlichen und unbeherrschten Gewaltausbrüche unter anderen im Stress ihre Ursache hatten. 

Verständlicherweise hatte Tante Gerda immer Wünsche, die mein Vater gerne erfüllte. Was ging, wurde mitgebracht und verteilt. Bei der Einreise in Staaken wurde überprüft, was man dabei hatte. Und bei er Ausreise in Lauenburg wurden die Sachen kontrolliert. Einmal wurden wir dort bis ins kleinste durchsucht, weil eine Diskrepanz auffiel. Jeder Koffer, jede Tasche, jede Ritze im Auto kam unter die Lupe. Sie wissen doch gar nicht, was vier Kinder alles auf der Fahrt essen, meinte meine Mutter. Für Tante Gerda war es eine Freude, das zählte für meinem Vater.

Ostberlin für Westberliner

Westberliner hatten die Möglichkeit ab 1972 relativ problemlos für einen Tag touristisch nach Ostberlin zu reisen. Hierzu musste ich mir im „Büro für Besuchs- und Reiseangelegenheiten“ ein Tagesvisum besorgen. Unter anderen im Forum Steglitz, am Walter-Schreiber-Platz oder hinter dem Bahnhof Zoo in der Jebenstraße, hatte ich dazu Gelegenheit. 

Dort ging ich hin, bezahlte meinen Zwangsumtausch von zuletzt 25 DM und bekam einen Passierschein. Mit dem Auto konnte ich zum Beispiel am Grenzübergang Sonnenallee einreisen. Zu Fuß die Grenze überqueren konnte ich auch am Bahnhof Friedrichstraße. Durch endlose Gänge und Treppen schlängelte ich mich zur Kontrolle. Nur bloß am richtigen Schalter anstehen. Es war sogar ein extra Gebäude errichtet worden, für die unzähligen Grenzkontrollen. Heute hat das Haus den Namen Tränenpalast, wahrscheinlich weil hier unendlich viele Tränen des Abschieds und der Freude vergossen wurden.

Dann verbrachte ich einen schönen Tag in Ostberlin. Bewunderte den Palast der Republik auf dem Platz des abgerissenen Berliner Schlosses. Und natürlich den Fernsehturm am Alex, der Konkurrenz zum Funkturm im Westen. Ich fuhr zum Müggelsee und wanderte durch Köpenick. Auch die große Grünanlage Treptower Park mochte ich gerne. 

Wenn ich irgendwo einkehren wollte, musste ich mich anstellen. Die Plätze am Tisch wurden zugewiesen. Ostberlin verlassen durfte man nicht, auch nicht aus Versehen, am Müggelsee, wo die Straße für ein paar Kilometer die Stadtgrenze überquerte. Hier stand die Volkspolizei am liebsten und winkte Westberliner aus dem Verkehr. 

Ich nutze gerne immer mal wieder die Gelegenheit, meine Heimatstadt von der anderen Seite kennen zu lernen. Als Junge war meine liebste Fahrradtour immer an der Grenze in Rudow entlang zu radeln. Eine Betonmauer und Stacheldraht, die die Sicht versperrten. Breite Straßen, die an der Mauer im Nichts endeten. Auf der Strecke wenige Aussichtstürme aus Holz, um einen Blick nach drüben zu riskieren. Als dann 1989 die Mauer fiel, musste ich mich erst daran gewöhnen.

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