Von Katzen und Menschen
Kater Mohrle ist die erste Katze, an die ich mich erinnern kann. Eigentlich kann ich mich gar nicht mehr wirklich entsinnen, ich kenne ihn nur vom Hörensagen, ich war noch zu klein, aber später wurde er immer mal wieder erwähnt. Mohrle war ein schwarzer Kater und ein Liebling meines Vaters. Aus gesicherter Quelle habe ich erfahren, dass Mohrle ungefähr 1966 starb und 19 Jahre alt wurde.
Kater Cäsar kam später in die Familie meiner Kindheit. Er war grau getigert. Gerne saß er auf den ausgestreckten Beinen meines Vaters. Eines Mannes, der seine Aggressivität so gut wie nie wirklich im Griff hatte, geprägt von Krieg, Armamputation, Vertreibung und Alkoholsucht. Cäsar hatte vielleicht das Vertrauen, dass ihm nichts passiert. Und vielleicht brachte er meinem Vater für einen Moment etwas Frieden. Jedenfalls waren mein Vater und Cäsar seelenverwandt. Cäsar raufte sich mitunter, so dass er einen Teil seines Ohrs und später ein Auge einbüßte. Nach dem Tod meines Vaters verschwand Cäsar spurlos.
Hunde mag ich auch. Wenn die Scheißerei nicht wäre. Ich habe mein Hundekotkindheitstrauma daher, dass ich die Hinterlassenschaften vom schwarzen Mischling Trixi, angekettet im Garten vor dem Küchenfenster, aufsammeln musste. Keine Ahnung, wie ein Vater auf solche Ideen kommen kann. Trixi wurde, Gott sei Dank, nach ein paar Wochen wieder abgegeben. Hunde sind anders, viel mehr auf Menschen fixiert als Katzen. Ihr Fressen teilen sie sich weniger ein, dafür kann Mensch sie gut abrichten. Wie es ihm gefällt. Das geht mit Katzen nie.
Zurück zu den Katzentieren. Eine Freundin hatte drei Katzen. Verspielt tobten sie über die abgezogenen Dielen durch ihre Altbauwohnung in der Nähe vom Winterfeldtplatz. Wollknäuels und Bällchen, alles was rollen konnte, wurde gejagt. Frisch geduscht setze sie sich zu uns auf den Boden. Einfach, faszinierend, natürlich, wie ihre Katzen. Irgendwann zog sie mit ihren Katzen aus Berlin weg, der Kontakt verlor sich für eine Zeitlang.
Der schwarzweiße, große Kater Paul wohnte beim Vermieter im Geschäft. Wenn wir die Miete am Monatsende bar bezahlten, lag er oft im Büro. Gerne stromerte er auch durch das Haus und besuchte die Mieter.
Als die Jungs noch klein waren, kam uns ab und zu eine Bekannte und ihre Katze besuchen. Die Katze, vor Zeiten ausgesetzt, hatte die Bekannte gefunden und aufgepäppelt und konnte nicht alleine bleiben. So reiste sie im Rucksack überall hin mit. Einmal setzte sich das für die Jungs fremde Kätzchen bei uns auf die Treppe zu den Kinderzimmern, und die Kinder, so etwas gar nicht gewöhnt, trauten sich nicht vorbei.
Nachdem meine Ex-Frau und ich mit den beiden Pflegekindern ins Haus eingezogen und angekommen waren, entschlossen wir uns, einen Kater mit aufzunehmen. In einer Katzenpflegestelle im Osten von Brandenburg erfuhren wir vom graugetigerten Kater Franzi. Als junges Kätzchen war er gefunden und aufgepäppelt worden. Wir fuhren mit dem Auto los, um ihn abzuholen, zahlten einen kleinen Obolus und machten uns auf den Heimweg. Der ängstliche Kater im Katzenkorb auf dem Schoß des größeren, stolzen Jungen.
Zu Hause versteckte sich Franzi erstmal unter dem Büfett, bis er einige Stunden später vorsichtig auftauchte. Die ersten Wochen war er nur im Haus, irgendwann aber bekam er einen Katzenweg über das Garagendach gebaut, um alleine rein und raus zu kommen.
Die Jungen liebten den Kater besonders. Zusammen mit ihm wurden sie älter. Franzi blieb immer etwas kratzbürstig, aber er schmuste auch gerne. Wenn ich mit den Kindern einen Film ansehen wollte, kam Franzi oft dazu, stupste mich mit seiner Pfote an, weil er genau wusste, dass ich ein paar Leckereien für ihn hatte. Das gehörte für die Jungs genauso zu dem wöchentlichen Kinotag, wie ein schöner Film und der Stullenteller.
Kater Franzi war für die Kinder sehr wichtig. Sie sagte nie, du musst, sie schimpfte niemals, bewertete nie und forderte nichts. Sie war einfach nur da. Katzen sind selbstständig und machen ihr Ding. Wenn sie kuscheln wollen, wollen sie es, wenn nicht, dann nicht. Sie passen sich nicht an, wollen nicht gefallen. Dennoch muss man lernen, sich um sie zu kümmern, ihnen ihren Fressnapf zu füllen, das Katzenklo sauber zu halten. Im hohen Katzenalter musste Franzi altersschwach eingeschläfert werden.
Jetzt lebe ich zusammen mit meiner Liebsten, ihrer Tochter, Kater Socke und Katze Karo. Als junge Katzen kamen die beiden Mainecoon-Ragdoll-Katzen in die Familie. Karo ist grau, Socke fast weiß und hellgrau mit blauen Augen – die Steine erweichen können – und grauem Köpfchen.
Meine Liebste wünschte sich immer eine graue Katze, als die Nachbarn ihre jungen Katzenbabys abgeben mussten, war es Karo, die ausgesucht werden wollte. Socke war alleine übrig, kurz entschlossen, zogen die beiden wunderschönen Katzen zusammen ein.
Karo ist eine mutige Katze. Sie ist neugierig und angstfrei. Karo liegt am Gartenzaun, auf der anderen Seite knurrt ein Hund sie an, aber Karo verzieht keine Miene, bis der Hund sich vor Langeweile verzieht.
Kater Socke ist eher ängstlich und scheu, laute Stimmen von Besuch mag er gar nicht, dann versteckt er sich lieber. Beide Katzen haben sich ihre Lieblingsmenschinnen ausgesucht. Karo fliegt auf die Tochter meiner Liebsten, für Socke ist es meine Liebste. Es passiert, dass Karo laut miauend die Treppe runter rennt, wenn ihre Lieblingsmenschin nach Hause kommt. Sofort wird erstmal ausgiebig gekuschelt und geschnurrt.
Meine Liebste aber ist die Wichtigste für die beiden Katzen. Nicht selten, wie eine kleine Herde, weichen die beiden ihr nicht von der Seite. Sie ist die, die für die Katzen sorgt, dass danken die beiden Katzen, indem sie sie begleiten. Erwischt Karo im Garten eine Maus, präsentiert sie diese stolz meiner Liebsten, die die Maus darauf folgend erlösen darf.
Im Haus apportiert Karo Radiergummi und Schminkwattebällchen, die sie aufspürt, und Korkkorken, die wir für Karo am üblichen Platz bereitlegen. Socke ist eher weniger verspielt, den Tag über ausschlafen ist seine Stärke.
Beide Katzen wissen ganz genau, wo im Schrank die Duftkissen liegen, und zeigen deutlich Bescheid, wenn sie Lust darauf haben. Überhaupt, wenn Katzen etwas wollen, dann sagen sie das. Wenn Socke gestreichelt werden möchte, miaut er laut und schmeißt sich mit etwas Abstand vor einen hin. Wenn Karo in den Garten möchte, springt sie notfalls über einen liegenden Menschen hinüber oder liegt auf der Lauer, um die erste an der Tür zu sein. Sie ist aber ungern alleine im Garten, wenn sie einen nicht sieht oder hört oder riecht, sucht sie miauend oder wartet an der Haustür.
Socke und Karo sind sich durchaus bewusst, dass sie die Chefs sind. Um uns sein, mit uns kuscheln, sich streicheln lassen, ein bisschen aufpassen, uns Bescheid sagen, wenn sie Hunger haben und uns glücklich machen, nicht nur dafür sind sie da.
Wenn wir einige Tage vereist waren und wieder nach Hause kommen, freut sich Karo besonders. Socke kommt kurz gucken, dann geht er auf Abstand, bis er, erst einige Zeit später, schnurrend ankommt.
Den beiden Katzen fehlt jegliche Aggressivität. Vom Charakter sind sie niemals kratzbürstig, Krallen zeigen sie nur im Spiel oder wenn sie wirklich bedroht werden. Socke ist sehr kräftig, kann super springen, daher darf er nicht in den Garten, weil er bei Panik unberechenbar weglaufen würde, was auch leider schon einmal nachts geschehen ist und er das fast mit seinem Leben bezahlt hätte.
Karo kann weniger gut springen. Möchte Karo auf die Kommode sitzen, miaut sie mich kurz an und ich hebe sie hoch. Vor einigen Jahren wurde bei ihr eine Herzerkrankung diagnostiziert, seitdem bekommt und nimmt sie brav ihre Pillen, nur schwächer dosiert als die für herzkranke Menschen.
Socke ist nicht unbedingt der schlauste Kater, aber er schaut sich vieles von dem ab, was Karo ihm vormacht. Wenn sich Karo einen neuen Lieblingsplatz zum schlafen ausgesucht hat, ist es sicher, dass sich Socke auch bald dahin legen wird. Karo kommt beim Frühstück mit zum Tisch, Socke kommt auch, wenn auch vorsichtig und nicht so oft. Brathähnchen zum Abendessen mag Karo am liebsten.
Natürlich sprechen wir mit den Katzen. Wir wissen, das Wunder, dass sie reden wie wir, geschieht nie, aber in ihrer Katzensprache antworten sie. Wenn sie es wollen.
Wir sind eine Familie, sind traurig, voller Sorgen, wenn sie krank sind und voller Freude, wenn sie sich schließlich wieder erholen. Wir kümmern uns und sind uns unserer Verantwortung bewusst, und dem Geschenk, dass die beiden einmaligen, unersetzlichen Katzen mit uns zusammen leben.
Jede Katze, jedes Tier, hat seinen einzigartigen Charakter. Wir Menschen müssen nur lernen, uns darauf einzulassen, uns nicht größer zu machen und das Tier einfach anzunehmen, so können wir Menschen sehr viel lernen.
Erstellt am 26.06.2022, letzte Änderung am 07.06.2024 von Michael