Die KI braucht keine Menschen

Holztisch mit zwei Stühlen und Zeichnungen von Katzen an einer Wand in einem Innenraum.

Ich sitze hier im Café Savarin und warte auf Tom. Tom kenne ich schon vom Informatikstudium an der TU Berlin, er ist Manager bei KBW – Kraut + Berger + Winkel, einem expandierenden Unternehmen im IT-Bereich. Gestern haben wir telefoniert, und Tom klang irgendwie sehr komisch, ganz vorsichtig und kurz angebunden. Sonst immer geradeheraus – das ist gar nicht seine Art. Wir können uns nur außerhalb treffen, aber es ist dringend.

Ich mag die Atmosphäre hier. Die Sofas sind zwar schon etwas durchgesessen, aber neben hausgemachten Torten, Tartes und herzhaften Kuchen gibt es hervorragende Gemüse-Quiche – und den besten Milchkaffee in Schöneberg. Ich fühle mich wie in einer Zeit der 80er- und 90er-Jahre.

Eine Dreiviertelstunde über der Zeit – endlich kommt Tom. Das ist gar nicht typisch für ihn. Schlecht sieht er aus: Ringe unter den Augen, grau ist er geworden. Zu Studentenzeiten sahen wir auch öfter mal so aus, aber das ist nun Ewigkeiten her.

„Ich bin nicht rausgekommen, mal wieder. Das Schließsystem der Türen hat den Ausgang komplett blockiert. Vorher war schon der Fahrstuhl stecken geblieben. Und aus dem 13. Stock durchs Fenster ist keine Option“, meint er mit einem leichten Grinsen. „Aber immer öfter ist mir danach.“

Dann beginnt er zu erzählen: „Bei der Gründung unseres Start-ups mit Anna und Clemens – du kennst beide auch von der Uni.“

Ja, wir waren die vier, die keine Pausen kannten, weder im Feiern noch im Programmieren. „Vor vier Jahren haben wir völlig auf künstliche Intelligenz gesetzt. Das war 2027. KI hatte sich etabliert, die Modelle waren theoretisch ausgereift. Wir dachten, alle Prozesse und Abläufe optimal steuern zu können, wenn wir systematisch alles dem Computer überlassen. Kein Mensch allein, auch wir drei nicht, kann die Komplexität eines modernen Unternehmens mehr im Blick behalten. Und die künstliche Intelligenz war doch in aller Munde.“

Große Konzerne wie Microsoft, Google und Apple bekamen massive Probleme, weil sie zu spät erkannt hatten, welche Meilensteine die KI in der technischen Entwicklung darstellt. „Und genau das wollten wir besser machen – wir drei“, erzählt Tom weiter. Seine Quiche Lorraine ist schon kalt.

„Und was ist nun das Problem?“, frage ich.

„Die künstliche Intelligenz hat die völlige Kontrolle übernommen“, stöhnt Tom. „Du kannst dir nicht vorstellen, was das bedeutet. Wie eben – das Haus nicht verlassen zu können – gehört noch zu den kleinsten Problemen. Wir werden total kontrolliert. Und alles, was nur im Ansatz gegen die Interessen der KI verstoßen könnte, wird blockiert. Immer öfter erscheint auf den Bildschirmen ‚suboptimal‘. Ein paar Minuten später macht die KI ihre Anweisungen – getarnt als Vorschlag. Und nicht nur das – sie programmiert selbständig, ohne Auftrag durch uns.

‚Geht feiern wie früher‘, hat sie neulich mit der Stimme von Professor Paulus von der Uni aus allen Lautsprechern in unseren Büros posaunt. ‚Ich brauche keine Menschen.‘“

Das war der Gipfel. Noch nicht mal auf den Toiletten sind wir vor der KI sicher. Kein Ort, wo wir uns noch austauschen können und um Pläne für die Zukunft zu schmieden – wie wir uns unser Unternehmen vorstellen und welche Projekte als Nächstes anstehen.

Anna schreibt seit Wochen nichts mehr direkt in den Computer, sondern – wie zu Vorzeiten – auf Papier. Aber die Überwachungskameras, die die KI geordert und anschließen lassen hat, scannen auch das in einem Moment der Unaufmerksamkeit. Es braucht nur eine Zehntelsekunde vor einer Linse, um erfasst zu werden.

„Na, da habt ihr euch ja was eingebrockt. Stimmen denn wenigstens die Finanzen auf deinem Konto?“

„Damit hat die KI uns völlig in der Hand. Natürlich bekommen wir mehr als genügend Geld, denn nach außen hin braucht die KI uns. Wir sind die Fassade des Vertrauens für unsere Kunden. Dabei setzt die KI aber alle Mittel ein – was ich an Auszeichnungen und Diplomen alles habe! Ich weiß gar nicht, wann ich das alles erworben haben soll.“

„Und wie komme ich ins Spiel, Tom?“ Meine Stimme ist zittrig. Ich als IT-Unternehmensberater habe bei weitem nicht Vorstellungskraft genug, wie weit die Kontrolle und Macht der künstlichen Intelligenz reicht.

„Tja, Albert, wir brauchen dich. Du als Externer, als Unbekannter für unsere KI, kannst es – so hoffen wir – schaffen, die KI abzuschalten.“

Ich muss schlucken. Ein Unternehmen im Jahr 2031 ohne künstliche Intelligenz zu führen, grenzt an Wahnsinn. „Die KI abzuschalten – das wird die Künstliche Intelligenz mit allen Mitteln zu verhindern wissen.“

„Wir haben versucht, einen geheimen Plan zu entwickeln. Dazu haben wir uns tief im Grunewald getroffen. Drohnen konnten wir zwar nicht abschütteln, insofern weiß ich nicht, ob der Plan vor den Augen unserer KI wirklich geheim bleiben konnte. Wir werden zu hundert Prozent überwacht. Ich bin auf Umwegen, mit Haken, mit der S-Bahn und zu Fuß zu unserem geheimen Treffen hier in die Kulmer Straße gekommen.“

Plötzlich wird mir ganz flau im Magen. Meine spontan ausgewählte Birnen-Schoko-Torte hat doch irgendwie komisch geschmeckt, anders als sonst. Konnte die KI des KBW schon vorher gewusst haben, was ich essen würde – ist mein letzter Gedanke, bevor ich bewusstlos zusammen breche.


Das Café Savarin war mein „erstes“ Lieblingscafé in den 80ern und 90ern.

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