Schleier des Nichtwissens

Kater Socke

Der Schleier des Nichtwissens ist ein wesentlicher Bestandteil der Theorie des US-amerikanischen Philosophen John Rawls (1921–2002) zum großen Thema Gerechtigkeit. Das Nichtwissen stellt sicher, dass wir Menschen unvoreingenommen und völlig gleich sind und deswegen keine gegeneinander gerichteten Interessen haben. Daher können auch irgendwelche Fähigkeiten, Eigenschaften, Vorstellungen, Besitz und Prinzipien unsere subjektiven Entscheidungen nicht verfälschen.

Die Vorstellung, dass es im Nichtwissen ein mehr an Gerechtigkeit in einer Gesellschaft geben kann, wirft einen möglichen Weg auf, wie wir eine Gesellschaftsform entwickeln könnten, die auf jeden Fall gerechter, und so auch besser, für alle sein könnte.

Wenn man erstmal auf diese Theorie gekommen ist, dann ist alles ganz einfach. Und doch so schwer, denn wir leben eben nicht, in unserer Verschiedenheit, ohne Einfluss und Nichtwissen. Wir haben keinen Zaubertrank, der uns alles vergessen lässt. Und wie soll man im Nichtwissen überhaupt eine Entscheidung treffen, ob nun gerecht oder auch nicht?

Aber es heißt ja auch im Schleier des Nichtwissens. Es bedeutet, dass wir nur subjektiv unbeeinflusst theoretisch auf dem Weg der Gerechtigkeit gehen können. Und dass wir so Kriterien an der Hand haben, die es uns ermöglichen zu entscheiden, was gerecht ist, und was nicht.

Ohne diesen Schleier des Nichtwissens besteht immer die Gefahr, dass ich als egoistischer Mensch das als gerecht empfinde, das mir einen Vorteil bringt und als ungerecht, wenn ich Nachteile dadurch habe. Zum Beispiel, wenn es um das Thema „Grundeinkommen für alle“ geht: Muss ich als Gutverdiener, mit Erfolg, Lust und Spaß an meiner Arbeit, mehr Steuern deswegen zahlen, finde ich das wohl möglich ungerecht, weil andere „auf meine Kosten“ leben. Wenn ich aber in meiner Unwissenheit gar nicht weiß, ob ich zu denen gehören werde, die mehr oder weniger Abgaben aufbringen würden, bin ich natürlich für das „Bedingungslose Grundeinkommen“. Denn es sichert auf jedenfalls meine Existenz, egoistisch wie der Mensch nun mal denkt.

Diese Sichtweise lässt sich auf alle Aspekte und Fragestellen des Lebens anwenden. Wenn ich nichts weiß und habe, unter dem Schleier des Nichtwissens, dann strebe ich das maximale Minimum an.

Das bedeutet, Fähigkeiten des Menschen, sich in andere herein zu versetzen, emphatisch zu sein, sind wichtige Voraussetzungen, um etwas gerechter zu denken.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, Reiche werden immer wohlhabender und Arme immer mehr und ärmer. Der „Mittelstand“ stirbt aus. Das ist ungerecht in vielen Augen derer, die den unvorstellbaren Reichtum der wenigen sehen. Diese Ungerechtigkeit bewirkt sozialen Unfrieden und damit aber auch eine Chance für die „oben“, dass die sowie so schon wenigen Reichen noch reicher werden. Die allermeisten Reichen wollen keine Gerechtigkeit, denn dann müssten sie ja etwas abgeben und teilen! Dann hätten sie weniger.

Wenn ein Wert einer Gesellschaft aber „Gerechtigkeit“ wäre, so ist nur der wirklich gerecht, der andere an seinem Wohlstand, seinen Erfolg teilhaben lässt. Das ist sozusagen eine Grundvoraussetzung für Gerechtigkeit. Nur wenn ich teilen kann, wenn das die Basis in einer Gesellschaft ist, das Teilen und Abgeben können, an die, die weniger haben, können sich alle Mitglieder dieser Gesellschaft als gerecht behandelt empfinden.

Gerechtigkeit würde heißen: Keiner ist gleich wie der andere. Aber allen steht das Gleiche zu. Wer viel hat, der darf es haben, wenn er Teile dieses mehr an andere, für andere, beisteuern kann und einsetzt.

Eine weitere wesentliche Voraussetzung für Gerechtigkeit ist, dass alle akzeptieren, dass persönliche Freiheit dort endet, wo mein Handeln die Freiheit irgendeines anderen einschränken würde.

Der Weg in eine bessere Welt – für alle – ist also ganz einfach: „da stelle ma uns mal janz dumm“.

Link: Dr. Walther Ziegler: Rawls in 60 Minuten

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