Jeder gegen jeden
Jeder gegen jeden – so scheint es – ist das Lebensmotto der Menschheit. Ich habe keine Ahnung, warum. Vielfältig werden die Gründe sein: an einzelne Schicksale gebunden wie an die allgemein vorherrschenden Meinungen, denen man sich, warum auch immer, verbunden fühlt. Vielleicht ist es auch nur bequem zu denken, dass das, was uns bedrohen könnte, eine Gefahr darstellt und deshalb bekämpft werden muss. Möglicherweise ist es eine Art Urinstinkt des Menschen. Wer weiß.
Und dennoch, ich verstehe es nicht. Denn dieses Denken, dieser Egoismus, gepaart mit der Überheblichkeit des Menschen, sich scheinbar über wirklich alles zu stellen, birgt die absolute Gefahr der Vernichtung – nicht nur der Menschheit. Besonders in unserer Zeit, mit einer technologischen Vollkommenheit auch der Waffensysteme, ist diese Bedrohung weit größer als selbst noch im 20. Jahrhundert und den zwei großen Weltkriege mit unendlichem Leid, Tod und Zerstörung.
Politik und Machtspiele
Wieder eine Große Koalition, die uns in Deutschland regiert. Und wieder passiert es, dass sich einzelne Köpfe im Namen ihrer Partei profilieren wollen. Anstatt einfach nur miteinander zu regieren – für alle Menschen unseres Landes und ohne Klientelpolitik, die nur einzelne Gruppen bevorzugt – zerreiben sich die Parteien im gegeneinander.
Und auch die Medien machen mit. Alles wird zerpflückt, kommentiert und bewertet. Und wenn es nicht zur scheinbar vorherrschenden Meinung passt, wird es abgestraft und verurteilt. Kaum ist ein Wort gesagt, schon ist es über das Internet, über soziale Medien in der Welt, wird verdreht, aus dem Zusammenhang gerissen oder zur Lüge verschachtelt, um die eigene Meinung als Wahrheit stärker wirken zu lassen. Gerade weil die Welt der Informationstechnologie so wahnsinnig schnell ist und sich Nachrichten in kürzester Zeit verbreiten, ist jeder Pups in null Komma nichts in aller Munde. Mehr informieren anstatt kommentieren und beurteilen wäre bestimmt besser.
Die Menschen sind damit überfordert. Auch unsere Politiker. So ist es leichter, sich beispielsweise von Lobbyisten beeinflussen zu lassen und hauptsächlich den einem selbst nahestehenden Gruppen den Vorzug zu geben. Denn das verspricht den besten persönlichen Profit. Das streichelt das eigene Selbstwertgefühl und füllt den Geldbeutel.
Fehlendes „Gemeinsam“
Genau das vermitteln die ehemals großen Volksparteien. Wir Menschen spüren kein „Gemeinsam“. Wir fühlen uns kaum gesehen und vertreten. Parallel werden die Probleme, die Bedrohungen, immer furchtbarer. Oftmals noch extra geschürt, greift der Funke der Angst und Sorgen um sich. Seien es die Kriege, die Klimakatastrophe, das Aussterben der Natur – all das ist für die meisten Menschen einerseits eine Quelle der Sorge, andererseits kaum konkret fassbar. Keine politische Kraft vermittelt ein Gefühl für ein gemeinsames „Wir schaffen das“. Im Gegenteil: Wir werfen jetzt sogar unserer ehemaligen Bundeskanzlerin vor, dass sie dieses Gefühl im Zuge der wachsenden Flüchtlingsströme vermitteln wollte.
Und was passiert, wenn immer mehr Menschen sich abgehängt fühlen, wenn sie unzufrieden mit der vorherrschenden Politik sind? Die wenigsten werden weiterhin Parteien wählen, die vor allem von leeren Versprechungen und persönlichen Vorteilen getragen werden. Was und wie sollen wir Wähler unseren Politikern noch glauben?
Geschichtsvergessenheit
Wir hatten es schon: hohe Arbeitslosigkeit, die Folgen des Ersten Weltkriegs, die Inflation, die Kaiserzeit – und die Fehler der noch jungen Demokratie bereiteten den Nazis den Weg. Und davor verschließen wir wieder die Augen. Jedes zersplitterte Handeln, jedes egoistische Gehabe führt dahin, dass die „Alternative“ gewählt wird.
Dummerweise – und das wird wohlweislich so lange wie möglich verschwiegen – hat die „Alternative“ ganz andere Ziele als den Erhalt der demokratischen Gesellschaft zum Wohl aller, wirklich aller Menschen. Kaum einer hätte es geglaubt, aber nichts anderes passiert gerade in den USA. Und so geht es nur um die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch wenige, was diese wenigen noch reicher und mächtiger macht. Völlig egal, was es die Menschheit und die Natur kostet.
Das ist die Zündschnur, die brennt. Und was machen wir Menschen? Wir machen mit. Jeder gegen jeden. Und bist du nicht dafür, so bist du automatisch dagegen – und böse.
Sprache und Polarisierung
Auch das Thema Gendern: Die einen wollen es durchsetzen, weil Sprache das Bewusstsein spiegelt. Andere wollen es verbieten, weil sie eher konventionelle oder auch konservative Vorstellungen vom Miteinander haben. Alle haben irgendwie recht. Sprache verändert sich über Zeit – das kann weder erzwungen noch verboten werden. Wer es radikal in die eine oder andere Richtung treiben will, setzt sich über die Mehrheit hinweg. Das kann nicht gut gehen, glaube ich.
Aber man muss doch auch mal mit der Faust auf den Tisch hauen, um etwas begreiflich zu machen. Ja, bestimmt gibt es Fälle, da wirkt nur das – aber Gewalt war noch nie eine Lösung.
Angst vor Veränderung
Du fühlst dich bedroht von den Menschen, die Zuflucht suchen. Was wird aus der Heimat, was wird mir genommen? Wer einfach nur diese Angst hat, wieso auch immer, ist deswegen doch kein schlechter Mensch. Wahrscheinlich hat er schlechte Erfahrungen gemacht oder kennt es vom Hörensagen. Egal. Und natürlich kann es bedrohlich sein, wenn mehr und mehr Menschen in unser Land kommen. Denn mit jedem Menschen verändert sich auch unsere Kultur. Und manchen macht diese ungewisse Veränderung Angst. Zudem führt es uns vor Augen, wie brenzlig für andere die Situation ist, wie groß ihre Not. Das ist bestimmt nicht immer leicht, so etwas zu sehen.
Ich persönlich kann diese Sichtweise zwar nicht nachvollziehen. Ich denke: Wir Menschen sind jeder für sich einzig und wertvoll, also muss jedem geholfen werden. Ganz einfach. Und wenn wir wollen, schaffen wir das. Das heißt nicht, dass wir Verbrechen nicht bestrafen. Aber – und das ist wesentlich – unabhängig von der Herkunft eines Menschen.
Viele Wahrheiten
Da haben wir zwei Einstellungen. Und bestimmt noch viele Variationen. Für mich heißt das: Ich akzeptiere und anerkenne all diese unterschiedlichen Gedankengänge. Es ist nichts eindeutig. Es gibt nie nur eine Wahrheit. Je nach Blickwinkel und Erfahrungshorizont gibt es immer mehrere Seiten. Und das ist gut so, denn es macht das Potenzial der Menschen aus: die unendlich vielfältige kreative Kraft – und nicht nur des Menschen, sondern der ganzen Natur.
Das ist nicht das Problem. Dass jeder Mensch individuell ist, mit Stärken und Schwächen. Jeder ist anders. Das Problem ist, dass wir daraus ein „Jeder gegen jeden“ machen.
Geld, Macht und Verantwortung
Rüstungsausgaben werden als Sondervermögen bezeichnet. Was hat Ausgabe mit Vermögen zu tun, außer dass wir das Vermögen haben auszugeben? Kosten für gescheiterte Projekte wie die Autobahnmaut steigen ins Unermessliche. Verantwortlich fühlt sich kein Politiker.
Sozialausgaben sollen gekürzt werden, an den Ärmsten gespart. Aber es gibt doch so viele, die dem Staat auf der Tasche liegen und betrügen. Alles wird in einen Topf geworfen, obwohl es kaum etwas miteinander zu tun hat. Natürlich wird es immer Menschen geben, die das System für sich ausnutzen – egal welcher Herkunft. Daran kann man arbeiten, aber das heißt nicht, Ursachen und Wirkung zu vermischen.
Und welcher Zündstoff liegt darin, weiter bei den Armen zu sparen, und damit auch ihre Unzufriedenheit zu befeuern? Ist das am Ende sogar gewollt, um die Spaltung voranzutreiben? Und warum beteiligen sich die Menschen, die mehr als genug haben, nicht auch verhältnismäßig stärker an den sozialen Kosten? Doch nur, weil darin kein wirkliches Interesse an Gerechtigkeit besteht?
Missionieren und Ausgrenzen
Wir lassen das andere nicht zu. Wir wollen missionieren, wir grenzen andere aus.
Der militante Veganer, der es bestimmt gut meint, der aber nicht anerkennt, dass es Menschen gibt, denen tierische Produkte einfach gut schmecken. Natürlich gibt es viele, die zu selten über die Folgen etwa der Massentierhaltung nachdenken, und nicht wenige, die finanziell von der Lebensmittelindustrie abhängig sind. Von den Folgen für Umwelt und Klima durch unsere Art zu leben, ganz zu schweigen. Das kapitalistische System hat seine brisanten Folgen.
Aber dennoch: Es ist das von Menschenhand erdachte System, die Gesellschaft, in der wir leben. Wahrscheinlich auch eine Ursache für den Untergang. Und wir müssen zeigen, was wir anders machen können. Unbedingt! Aber jeder Mensch – auch der, der das nicht begreifen kann oder will – ist dennoch ein Mensch wie du und ich und muss als solcher anerkannt werden.
Mit Polarisieren, mit immer nur einem gegeneinander, erreichen wir nur eines: die Spaltung der Gesellschaft.
Spiralen der Gewalt
Der Krieg gegen die Ukraine. Der Krieg zwischen Israel und Palästina. Worum geht es da wirklich? Viele Experten, noch mehr Meinungen. Ich habe keine Ahnung. Am Ende aber geht es den Kriegstreibern darum, ihre Macht auszubauen, an Ressourcen und Rohstoffe zu gelangen, auszubeuten und am Wiederaufbau zu verdienen.
Und auch diese Kriege machen Angst. Auch mir. Und es geht doch nicht, dass ein Volk wie die Ukraine angegriffen und unterworfen werden soll. Natürlich haben sie jedes Recht, sich zu wehren.
Und dennoch bin ich gegen Krieg, gegen Aufrüstung auch hier in Deutschland. Wie in einer endlosen Spirale der Gewalt „Jeder gegen jeden“ gibt es kein Ende – außer wenn wir alles vernichtet haben: das Leben.
Wann werden wir endlich unser Denken grundlegend ändern und anfangen, Nein zu sagen? Nicht mehr mitzumachen. Und das gemeinsam, Hand in Hand.
Wenn meine Liebste und ich unseren Spaziergang machen, gehen wir eigentlich immer die Runde in eine Richtung. Mal umgekehrt, in die andere Richtung zu laufen, eröffnet neue Perspektiven. Vielleicht sollten wir Menschen einfach mal die Richtung wechseln und anders denken: Statt Gewalt und Aggressivität, Liebe und Frieden in den Vordergrund stellen.
Glück statt Gier
So heißt es, die Lügen aufzudecken, die wir sekündlich hören. Die unser Denken vernebeln, uns beeinflussen und untertan machen. Wir müssen aufhören, an das unermessliche Wachstum zu glauben und daran, dass im finanziellen Reichtum, im Konsumieren, das Wohl des Menschen liegt. Das Glück heißt ganz anders: leben können als Geschenk der Natur, in der Natur und in der bunten, ideenreichen Welt. Denn sobald ich gestorben bin, bekomme ich von allem, dem Leben, absolut gar nichts mehr mit – wenn ich nicht an ein Leben nach dem Tod glaube.
Vielfalt als Stärke
Und ich glaube, wir müssen begreifen, dass kein einzelner Mensch die Weisheit hat, die Wahrheit allein zu kennen. Alles ist mannigfaltig und verschieden – und darin liegt die Kraft: im solidarischen Miteinander, im Sich-Ergänzen.
Wir erreichen das aber nicht, wenn wir uns weiterhin gegenseitig angreifen und vernichten. Wir schüren damit nur weiter den Untergang. Denn vielleicht hat gerade der Mensch, von dem behauptet wird, er sei mein Feind, genau in seinem Wissen etwas, was mir helfen könnte.
Unbenommen gibt es auch Schlechtes bei den anderen, aber das macht uns um keinen Deut besser.
Der Zweck heiligt nicht die Mittel
Veränderung kann ich nicht erreichen, wenn ich mit extremen Mitteln versuche, meine Wahrheit umzusetzen. Weder linke noch rechte Extremisten erreichen mehr als Angst und daraus wachsenden Widerstand. Nein: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Jede Unterdrückung wird sich entladen, neue Unterdrückung, neue Rache und neue Gewalt folgen.
Schlüssel zum Miteinander
Jedes Gespräch, jedes Miteinander – auch über Gegensätze hinaus – jedes Anerkennen des anderen kann meiner Ansicht nach nur der Schlüssel sein, den wir finden müssen. Miteinander reden. Immer und immer wieder. Miteinander fühlen, mitfühlen. Anteilnehmen und voneinander erfahren wollen. Zuhören, ohne es besser zu wissen. Zärtlich, liebevoll miteinander sein. Neugierig aufeinander sein. Gemeinsam lachen und weinen. Traurig sein, schwach und schweigend.
Ich kann gut verstehen, dass manche keine Waffen in die Hand nehmen, keine Munition herstellen wollen. Dass sie nicht ihre Kinder opfern wollen im gegeneinander. Ich hoffe und wünsche, dass es mehr werden, die sich einer Friedensbewegung anschließen. Frieden ohne Gewalt.
Das alte Dilemma
Aber wenn einer bedroht wird? Ja, wie gesagt: Ich verstehe, dass es schwer ist, das hinzunehmen. Denn es scheint den Angreifenden noch stärker zu machen. Das ist das Dilemma der Menschheit.
Der Gedanke ist nicht neu: Es ist Krieg, und keiner geht hin. Was würde passieren, wenn der Angreifende weniger Mitmacher fände, weil es immer mehr werden, die Nein sagen und danach handeln? Die ihr Glück in etwas anderem sehen als im materiellen Wohlstand, den sie sich, wie Raubritter des Mittelalters, mit allen Mitteln nehmen.
Die Gedanken sind frei
Ich denke: Egal welche Richtung – Denken muss frei sein und frei bleiben. Denn genau in der Vielfalt liegt der Wert, nicht in einer bestimmten Richtung. Das anzuerkennen, müssen wir lernen – trotz aller überzeugenden Argumente, die unser Handeln treiben. Wir alle denken subjektiv. Zusammen ist es ein Ganzes. Vielleicht gewinnt es dann etwas an Objektivität.
Aber was aus diesem freien Denken entsteht, da müssen wir genau hinschauen. Was bedeutet es? Nutzt es jemand nur für den eigenen Vorteil? Oder werden moralische Werte beachtet und entwickelt? Was ich nicht will, dass man mir antut – an Schmerz und Leid, an Gewalt und Schlechtem – darf ich auch nicht anderen antun. Die Grenze meiner Freiheit ist immer und ohne Einschränkung dort, wo die Freiheit des anderen verletzt wird.
Wir dürfen nicht im gegeneinander verharren, wir brauchen ein Miteinander
Nur so – und das scheint mir eine dem menschlichen Wesen entgegenstehende utopische Träumerei – kann aus dem „Jeder gegen jeden“ ein gemeinsames Miteinander werden.
Hinterlasse ein Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar! Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.
Name und E-Mail-Adresse werden ausschließlich für diese Kommentarfunktion verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.