Lass dich nicht anbrüllen

Lass dich nicht anbrüllen

Lass dich nicht anbrüllen, erzählt Hape Kerkeling als eine seiner wichtigsten Lebensregeln in einem Interview. Ein Lehrer Hapes letzter Stunde, in der Schule, hat dies den jungen Menschen auf den Weg mitgegeben. Und er hat so recht.

Insbesondere, wenn das Gebrüll eines Menschen die Hierarchie widerspiegelt, die Macht über vermeintlich schwächerer, ist es der absolut falsche Kurs. Wer brüllt hat meistens nicht recht, er will „Was“ auch immer mit Gewalt erreichen. Er spielt seine Position aus. Ohne mit dem Gegenüber auf Augenhöhe zu bleiben. 

Das „Wie“ ist einfach verfehlt. Obwohl es natürlich auch manchmal verständlich sein kann, die Stimme zu erheben. Zum Beispiel in einer in ausweglos scheinenden Situation, im Stress. Wenn man sich unreflektiert nicht unter Kontrolle hat. Keine Zeit für einen klärenden Gedanken bleibt. Der Abstand fehlt. 

Trotz allem, wenn man offen und ehrlich, nach einem missglückten „Wie“, von Herzen seine Entschuldigung anbietet, den Hintergrund erklärt, den anderen in seiner Verletzlichkeit wirklich ernst nimmt, zuhört und versucht zu verstehen, sehe ich dabei kein unüberwindbares Problem. Der Nabel der Welt bin nicht ich. Es ist passiert, entscheidend ist, wie wir damit umgehen und das wir daraus lernen. Es ist eigentlich immer eine Frage des „Wie“. 

Ich habe es erlebt. Wie mein Vater, anscheinend aus dem Nichts, uns Kinder anbrüllte. Um sein Wollen durchzusetzen. Aber seine Aggressivität hatte ihre Auslöser. In seinen Erlebnissen im Krieg als junger Soldat. Seine Erfahrungen durch Vertreibung und Verlust der Heimat. Seiner Alkoholsucht. Und, nicht zuletzt, das vorherrschende Denken in der Gesellschaft der Zeit. 

Aber hier geht es weniger darum zu erkennen, dass jedes giftige Verhalten seine Ursachen hat und damit erklärt oder auch verstanden werden kann. Ohne es damit reinzuwaschen. Es geht viel mehr darum, wie wir als Menschen darauf reagieren können. 

Als Kind habe ich gelernt, dazu nichts zu sagen. Es über mich ergehen zu lassen, wie ein Naturphänomen. Oder mich zurückzuziehen. Mich, meine Gedanken nicht zu zeigen. Mich hinter einem Lächeln, einer Unnahbarkeit zu verstecken. Wenn so ein Verhalten lange eingeübt wird, ist es ein ganz guter Schutz. Aber es ist später im Leben auch eine Last, weil ich lernen musste, mich zu öffnen und Vertrauen haben zu dürfen. Das ist eine steinige Wegstrecke. 

Das gilt für alle Menschen. Wir sollten annehmen, gegenüber uns selbst nicht verschlossen und wahrhaftig zu sein. Dann können wir erst aus dem Strudel herausfinden: Es nicht genauso zu übernehmen und rumzuschreien, wie es uns vorgelebt wurde. Stattdessen Fragen zu stellen. Es gibt immer eine Wahl. Und es nicht immer weiter so zu machen. Wie exemplarisch die Gewaltherrschaft eines Vaters, dem Geschrei eines Vorgesetzten, der lauten Stimme eines Freundes.

Dagegen mit ruhigen Worten darum zu bitten, nicht angebrüllt zu werden. Ebendas wird nicht immer flutschen, manchmal hilft dann nur der Rückzug, ein warten auf eine bessere Gelegenheit oder das nichts machen, weil es sich nicht ändern lässt, wenn die Einsicht vollständig fehlt. Jegliche Aggressivität schaukelt in die Eskalation. 

Wer schreit, hat oftmals unrecht. Und will dennoch seine Intentionen durchboxen.  Unrecht haben ist nicht schlimm. Kein Mensch kann alles intus haben und in jedem Moment alles richtig machen. Jeder hat mal einen schlechten Tag, wie ich letztens. Auch wenn ich mit dem Ergebnis am Abend ganz zufrieden war. Zu lernen, eben nicht perfekt zu sein, ist wesentlich, weil auch so begreifen wir, dass der Lebensweg ein Prozess ist. 

Zwischen unrecht haben und eine Unwahrheit vertreten, kann es ein schmaler Grat sein. Erinnerungslücken zu erfinden ist, besonders in der Politik, gängig. Despotisch sein Lügengebäude versuchen mit verbaler Gewalt durchzusetzen, da ist nicht nur das „Wie“ unrichtig, was unter Umständen noch verziehen werden könnte. Sondern auch das „Was“. Auch hier kann man nie generell behaupten, dass jede Erdichtung falsch ist. Manche Notlüge hat durchaus ihre Berechtigung. Manchmal ist die Zeit für die Wahrheit nicht reif. Vor einem selbst. Vor anderen.

Aber absichtlich Lügen zu verbreiten, wegen den eigenem Vorteil, ist meiner Meinung nach eine Freveltat. Die Wahrheit dermaßen zu verdrehen, dass das Gegenteil gilt, ist einfach nur böse. Mit Lügenmärchen und Fälschungen Abhängigkeiten zu schaffen, andere Menschen zu erpressen oder gar zu zwingen, selbst verbrecherisch zu handeln, beziehungsweise zu foltern, einzusperren oder zu ermorden, sind schwerste Übeltaten.

Ich denke, wenn wir davon erfahren, dann müssen wir alles schonungslos aufdecken. Jede Unrichtigkeit muss ans Licht. Hier müssen wir absolut wachsam bleiben, auch um nicht selbst verstrickt zu werden, in einem Netz von Lügen, Halbwahrheiten und Zwängen. 

Wie geschwind eskalieren gesprochene Worte in körperliche Gewalt. Eine Hand ist schnell mal ausgerutscht. Notwehr ist möglicherweise akzeptabel, aber jegliche Gewaltsamkeit gegen Lebewesen ist für mich einfach nicht vertretbar. Dabei sind die Zeiten, in denen die körperliche Züchtigung zur Erziehung gehörten, noch nicht lange her. Eine Ohrfeige hat noch keinem geschadet, war ein gängiger Spruch in meiner Kindheit. Doch sie hat! Sonst wäre das Denken des Täters ein anderes. Und kein Mensch mehr würde seine Kinder in den Krieg schicken.

Und dennoch: Ist Pression gegen einen mutmaßlichen Entführer nicht auch verständlich, wenn es darum geht, seinen Leidtragenden zu retten? Und ist eine kriegerische Antwort auf einen überfallartigen Angriffskrieg auf ein Land nicht eine Art von Selbstverteidigung? Es ist keine einfache Antwort möglich. Absolut nicht. 

Natürlich sieht so mancher genau in dem, der Lügenwelt, seinen persönlichen Vorteil. Oder wird für sein Tun gut bezahlt. Um noch reicher zu werden. Oder noch mehr Macht zu erobern. Schlimm ist es, wenn solche Personen Spaß daran empfinden, anderen Menschen Schaden zuzufügen. Der persönliche Vorteil, oder das aufreizen am Leiden, macht es so schwer, vielleicht unmöglich, eine Lügen freie Welt zu fordern, zu wünschen oder bloß davon zu träumen.

Denn wie schnell tappen wir in die Falle. Denken zu wenig nach. Handeln spontan. Lassen uns beeinflussen, eben weil wir einjeder als ein soziales Wesen ein Teil des gesellschaftlichen Denkens sind. Das ist durchaus verständlich. Und keinesfalls zu verurteilen. 

Das „Wie“, das „Warum“ kann ich verzeihen. Die Folgen, das „Was“ daraus wird, aus den Lügen, auch der Gewalt, der Vernichtung, all das ist in meinen Augen unverzeihlich. Und es macht mir große Angst und Sorgen.

Um so mehr aber ist es bedeutend: Lass dich nicht anlügen!

Ein Interview mit Hape Kerkeling.

 


Erstellt am 23.02.2025, letzte Änderung am 23.02.2025 von Michael