Eine Geschichte gegen die Kälte

Winter

Es war ein Mal. So fangen viele Märchen an. Auch diese Geschichte. Es war ein Mal, es war ein Mal ein Mann. Keiner wusste so recht, wie alt er war. Er lebte in einem kleinen Städtchen, in einem winzigen Häuschen. Im Haus gab es nur ein Zimmer, eine Kochstube und ein Bad. Am liebsten hielt sich der Mann in der Küche auf. Hier war sein Lebensmittelpunkt.

Sehr oft war dem Mann kalt. Selbst im Sommer, bei 30 Grad im Schatten, fror er. Daher zog er sich immer seinen beigefarbenen Schafswollpullover an, eine Weste, einen Schal, eine Mütze bis über beide Ohren. Dickgefütterte Hosen und Stiefel umschlossen seine Beinen. Handschuhe und Schal hatte er immer ums ganze Gesicht geschlungen. Nur seine grauen Augen blickten hervor.

Im Städtchen nannten ihn alle nur die Mumie. Keine wusste, wie der Mann aussah, außer den grauen Augen sah man nichts von ihm. War er alt, war er jung, welche Haarfarbe hatte er, war seine Haut dunkel oder hell – der Mann war für alle ein großes Geheimnis.

Und immer bollerte der alte Küchenofen, wärmte seine Stube. Egal zu welcher Jahreszeit. 

Der Mann hatte keine Arbeit, hatte aber immer genug Geld. Er hätte sich jeden Wunsch erfüllen können, aber er tat es nicht, er kaufte immer nur das nötigste, was er zum Leben brauchte.

So lebte der Mann in der kleinen Stadt, und keiner nahm wirklich von ihm Notiz. Natürlich, andere grüßte ihn, wenn sie ihn auf der Straße trafen, aber er sagte nie ein Wort zu viel. Brummte, nicht unfreundlich, einen Gruß, und hatte es eilig, weiter zugehen.

Aber der Mann fühlte sich nicht alleine, denn er hatte zwei Katzen, mit denen er sich gerne unterhielt. Und für die er sorgte, die es gut bei ihm hatten. Nachts schliefen sie, neben den knarrendem Bett des Mannes, jedes in einem Körbchen. Nur ein bisschen warm war den Katzen. Aber sie waren nicht sehr empfindlich. 

Eines Tages, der Mann war gerade dabei den Katzen das frische Futter am Herd zu bereiten, da klopfte es an der Tür. Frau M. hatte ein Problem, wusste nicht, was tun. Kannte keinen, an den sie sich hätte wenden können, in ihrer Not, also klopfte sie bei dem Mann. Der Mann wunderte sich, wer will den da was von mir, meine Katzen sind doch zuhause, und, die klopfen auch nicht. Der Briefträger bringt seit Jahren keine Post. Wer kann das sein?

Ohne lange weiter zu überlegen, öffnete er die Tür. Hallo? Ja, er erkannte Frau M., vor vielen Jahren, hatten sie nebeneinander in der Grundschule gesessen. Natürlich, sie hatte sich sehr verändert, aber an ihren Augen erkannte er sie. Er erkannte alle Menschen an ihren Augen. An dem Einzigen, was auch andere Menschen von ihm sahen.

Natürlich erkannte Frau M. ihn nicht, sie hatte nicht diese Gabe, und auch hatte sie andere Probleme. Darf ich hereinkommen, fragte sie mit belegter, trauriger Stimme. Kein Problem, antwortete der Mann, denn er fühlte die große Not der Frau, ich koche zwar gerade das Futter für meine Katzen, aber sie stören nicht, kommen sie herein. So viele Worte hatte der Mann lange nicht geredet.

Frau M. setzte sich in der Küche auf die Bank, beide Arme aufgestützt hielt sie ihr Gesicht in den Händen. Sie sagte kein Wort, war einfach nur da, sah den Mann mit traurigen Augen an. Der Mann setzte sich ihr gegenüber, goss ihr vom warmen Tee ein, der immer auf dem heißen Ofen bereitstand, sah sie an, ohne zu drängen. So saßen die beiden sich bestimmt eine Stunde, ich weiß es nicht, schweigend, Tee trinkend, gegenüber.

Der Mann begann zu schwitzen. Menschliche Wärme erfüllte das kleine Haus. Machte den Hitze speienden Ofen im Sommer unnötig.

Lautlos, in diesem Schweigen redete die Frau unablässig zu sich selbst, in Gedanken. Erzählte ihre ganze Geschichte. Und der Mann, er verstand dieses schweigende Reden, verstand ihre Gedanken, hörte zu.

So ging es Stunde um Stunde. Zwischen durch hatten die Katzen ihr Futter bekommen, hatte der Mann Brot aufgetragen, Butter und Käse. Sie hat nichts gegessen. Hatte nur schweigend geredet.

Mit jeder Stunde dieses Erzählens wurde es aber unerträglich warm in der Küche. Der Mann begann seine Kleidung zu lockern, setzte die Mütze ab, später den Schal, zog die Handschuhe aus, die Weste, den dicken Pullover.

Am frühen Morgen, die Vögel begannen zu zwitschern, saß der Mann der Frau in Hemd und Hose, mit nackten Füßen gegenüber, die Frau hatte alle ihre Sorge ausgebreitet, in der Stille von der Seele geredet.

Sie gab dem Mann einen Kuss auf die Wange. Nahm seine Hand. Dankte. Dann drehte sie sich um und ging. Der Mann war müde geworden, ging zu Bett und schlief bald ein. Als er wieder erwachte, war er wieder alleine mit seinen Katzen. Er musste sich erst erinnern. Was war, warum habe ich nur Hose und Hemd an, wunderte er sich. Aber erfror nicht mehr, ihm war nicht mehr kalt. Frau M. war gegangen. Ihre Wärme war geblieben.


Erstellt am 09.06.2009, letzte Änderung am 07.06.2024 von Michael