Szenen wie aus dem Katastrophenfilm

Mutzig

Diese Schlagzeile steht heute (17.4.2014) im „Der Tagesspiegel“, Nummer 22020, auf Seite 28 – Weltspiegel, und bezieht sich auf die gekenterte südkoreanische Fähre „Sewol“. Nach diesem schrecklichen Unglück werden noch über 300 Menschen vermisst.

So weit sind wir also nun. Wir setzen eine Katastrophe mit wahrscheinlich hunderte Leidtragenden gleich mit einem Film, einer von Menschen gemachten Fiktion, die nicht der Realität entsprechen muss, bei der es keine Opfer gibt. Wir vergleichen die Realität mit einem Film und merken dabei nicht, wie wir damit den Film zur Wirklichkeit erheben. Glauben wir den Bildern bald mehr als dem realen Leben?

Von einzelnen Journalisten, aber vielmehr noch von einer Zeitungsredaktion, erwarte ich mehr, setze ich das Gespür für die Wahl der „richtigen“ Worte voraus.

Diese Überschrift zeigt aber auch, wie schrecklich abgestumpft wir sind. Das Unglück ereignete sich weit weg, in Südkorea. Kaum ein Deutscher ist direkt betroffen, wage ich zu behaupten. Wir erfahren schon wenige Minuten nach dem Unglück von dieser Katastrophe, die Medien stürzen sich darauf. Opfer werden dargestellt, aber es erreicht uns nicht wirklich, es ist ja so wie im Drama, das wir am Abend noch im Fernsehen gesehen haben. Im gewissen Maße ist diese Abgestumpftheit auch gut, denn ansonsten würde die halbe Menschheit weinend umherlaufen und die Selbstmordrate stark ansteigen.

Aber die Gefahr, die ich meine, ist die, dass wir durch Filme und Internet, durch Medien, durch Computerspiele – aber auch durch die Sprache, die Worte, die wir wählen – mehr und mehr die Dramen des wirklichen Lebens verharmlosen. Im Leben ist der Tote tot. Ohne Wenn und Aber, ohne zurück, endgültig. Es gibt kein Geld, keine Macht, die den Tod aufhalten kann. Das Leben ist kein Spiel, das man nach dem Verlust des Helden einfach von vorne anfängt.

„Kleinkind totgeschlagen: Mehr als sieben Jahre Haft“. Ein Kind ist tot! Was bedeutet da dieses „mehr“ in der Überschrift? Siebeneinhalb Jahre Gefängnis dafür, dass der Lebensgefährte der Mutter ein Kind totgeboxt hat. Dieses „mehr“ stört mich gewaltig. Diese Schlagzeile klingt nach Mitleid für den Täter: Ach der Arme, er muss mehr als sieben Jahre in Haft.

Das Kind wurde keine sieben Jahre alt. Keine 17, keine 70. Ich weiß nicht, ob die Strafe für den Mann angemessen ist, die Richter haben nach Gesetz und Recht entschieden. Es gibt keine Gerechtigkeit, wenn man den Blickwinkel des Kindes, der Mutter einnimmt. Und ob eine Freiheitsstrafe überhaupt eine adäquate Möglichkeit ist, wir mit Strafen überhaupt etwas erreichen, ist mehr als fraglich. Denn auch hier befinden wir uns in einer Spirale der Gewalt.

Das Leben ist das wertvollste, das ein Mensch – das Opfer, der Täter, jeder Mensch – besitzt.


Erstellt am 17.04.2014, letzte Änderung am 07.06.2024 von Michael